„Auf dem Dretsch“ bei Geiß-Nidda ist so ein besonderes Biotop. Es wurde deshalb zusammen mit dem Kirschköppel bei Ulfa, dem Eichköppel bei Eichelsachsen und einigen anderen Gebieten als Natura 2000-Gebiet unter der Ziffer 5520-304 „Basaltmagerrasen am Rand der Wetterauer Trockeninsel“ ausgewiesen.
Der interessierte Besucher kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. In der Ortsmitte von Geiß-Nidda gibt es eine Haltestelle der Buslinie Nidda – Friedberg. Von hier läuft man am Friedhof vorbei, links den Berg hoch innerhalb von zehn Minuten auf den „Dretsch“. Bei der Anreise mit dem Pkw parkt man am besten auf dem Parkplatz am Friedhof und gelangt nach einem kurzen Spaziergang ins Gebiet. Die besten Monate für Pflanzen- und Insektenbeobachtungen sind April bis Ende September.
Was bedeutet eigentlich Natura 2000-Gebiet? Angesichts der bedrohlichen Vernichtung der Artenvielfalt auf der Erde beschlossen die Europäische Union und die einzelnen Mitgliedsstaaten – also auch Deutschland – 1992 die „Konvention über biologische Vielfalt“. Mit der Einrichtung eines europaweiten Netzes von Schutzgebieten zum Erhalt von Pflanzen, Vögeln und Lebensräumen soll dem Artensterben Einhalt geboten werden. Jedes Land meldet die Gebiete, die nach den Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien (FFH) in Frage kommen. Nach einem Abstimmungsprozess erstellt die Europäische Kommission eine Liste der „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“. Diese Liste wurde erstmals 2004 veröffentlicht. Danach sollen alle Natura 2000-Gebiete auch im nationalen Recht innerhalb von sechs Jahren unter Schutz gestellt werden. Das Land Hessen hat deshalb den „Basaltmagerrasen bei Geiß-Nidda“ als ein solches Gebiet an die Bundesregierung gemeldet, die es wiederum der Europäischen Kommission vorgeschlagen hat. Es wurde unter der Ziffer 5520-304 in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlichem Interesse aufgenommen und ist damit besonders schutzwürdig. Die Fläche stellt ein wichtiges Teilchen innerhalb des europäischen Naturschutznetzwerkes dar.
Ende Februar werden die Tage wieder länger und ab März gewinnt die Sonne an Kraft. An sonnigen Tagen kommen die ersten Pflanzen unter der schützenden Schneedecke hervor. Die frühen Boten des neuen Pflanzenjahres sind gelb blühendes Frühlings-Fingerkraut, Kriechender Hahnenfuß, Gewöhnlicher Reiherschnabel, das weiße Frühlings-Hungerblümchen, Gänseblümchen und die Purpurrote Taubnessel. Im April gesellt sich der selten gewordene Knöllchen-Steinbrech mit seinen entzückenden weißen Blüten hinzu.
Am Rand des Magerrasens stehen Schlehen, die noch ihre schwarz-blauen Früchte tragen, Weißdorn, junge Eichen und Vogelkirschen. Ihre Energien stecken zu dieser Jahreszeit in den Wurzeln und im Holz. Erst im späteren Frühling – Ende April, Anfang Mai – entfalten sie das frische Grün ihrer jungen Blätter.
Auf einem Zweig, hoch über der Fläche, sitzt ein Turmfalke und lässt seine scharfen Augen über das Grasland wandern. Es könnte sich ja eine Maus aus ihrem unterirdischen Bau herauswagen. Auch der Mäusebussard, häufigster Greifvogel in unserem Land, geht hier auf der Hochfläche auf Jagd. Von Zeit zu Zeit lässt er seinen unverkennbaren durchdringenden Ruf erschallen und erhält vom nahen Waldgebiet eine Antwort. Rotmilane nutzen die Bäume auf der Kuppe gern als Übernachtungsplatz auf ihrem Rückweg aus den Überwinterungsgebieten in Westeuropa.
Von der Höhe kann der Blick Richtung Osten bis zu den schneebedeckten Höhen des Vogelsberges schweifen. In dieser Jahreszeit fegt oft ein kalter Wind über die Basaltkuppe, nur selten lassen sich Rehe oder Hasen blicken. Sie suchen lieber den Schutz der Tallagen und des Waldes. Wenn die Sonne höher steigt und es wärmer wird, schmilzt der letzte Schnee und die Pflanzen strecken sich dem Licht entgegen.
Jetzt ist die Zeit gekommen, in der über der Basaltkuppe Kolkraben ihre spektakulären Balzflüge veranstalten. Der Neuntöter kehrt aus Afrika zurück, etwa zur selben Zeit wie auch der Gartenrotschwanz. Sie alle inspizieren das Revier und begutachten, ob es sich wohl für die Aufzucht des Nachwuchses eignet.
Ende Mai beginnt die Zeit der besonderen Pflanzen dieses Ortes. Es sind die Hungerkünstler, die nur wenige Nährstoffe benötigen, um ihre zauberhaften Blüten hervorzubringen, und es sind die Widerstandsfähigen, die mit wenig Wasser auskommen. Am Hang und zwischen den Basaltblöcken breitet sich Mauerpfeffer in ganzen Teppichen aus. Er bringt im Sommer tausende von gelben Sternenblüten hervor – ein wunderschöner Anblick. Dazwischen wachsen die Felsen-Fetthenne und die Große Fetthenne. Sie alle haben dickfleischige Stängel und Blätter, in denen sie das Wasser speichern können. Auch der Kompasslattich ist ein wahrer Wärmekünstler. Er dreht seine Blätter immer so, dass sie der Sonne abgewandt sind, sodass sie wenig Feuchtigkeit abgeben und nicht verbrennen.
Da das Gebiet klimatisch gesehen am Rande der Wetterauer Trockeninsel liegt, sind diese Strategien zum Umgang mit Wärme und Trockenheit überlebenswichtig für die Pflanzen. Oben auf der Basaltkuppe herrscht submediterranes Trockenklima mit Temperaturen bis fast 40 Grad an manchen Hochsommertagen. Es kann gut sein, dass es hier wochenlang nicht regnet.
Wenn sich die Blüten der Pflanzen entfalten, ist die Zeit der Insekten gekommen. Am auffälligsten und beliebtesten bei den Menschen sind natürlich die Schmetterlinge. Sie gaukeln an warmen Frühlingstagen schon ab April über die Hochfläche. Die ersten Schmetterlinge im Jahr sind der Klee-Gitterspanner, der Gemeine Bindenspanner, die Breitflügelige Bandeule, der Gelbspanner, der weiße Ampferspanner mit den dunkelroten Linien und der seltene Mondfleckige Blütenspanner. Einige Bienen, Hummeln und Fliegen lassen sich auch bei entsprechenden Temperaturen entdecken. Die Honigbienen aus nahegelegenen Bienenstöcken ortsansässiger Imker besuchen die ersten Blüten, um nach dem Winter Pollen zu sammeln. Die Dunkle Erdhummel, die Wiesenhummel, die Ackerhummel und die Steinhummel mit ihrem orange-braunen Hinterteil summen und brummen über die Grasfläche auf der Suche nach leckeren Blüten. Sie finden im voranschreitenden Jahr bei immer höherem Sonnenstand Tüpfel-Johanneskraut, Büschel-Nelken, Kartäusernelken, die Purpurrote Fetthenne, Rötliches Fingerkraut, die Moschus-Malve, das Echte Labkraut und auf weitläufigen Flächen den Wiesen-Salbei mit seinen lavendelblauen Blüten. Sommerblumen sind auch die violetten Skabiosen und die Wiesen-Flockenblumen, hinzugesellen sich der Große Wiesenknopf und verschiedene blaublütige Ehrenpreissorten. Wichtig im Gebiet sind aber auch die verschiedenen an Boden und Klima angepassten Gräser: Hühner-Hirse, Schafschwingel, Pyramiden-Schillergras und Wiesen-Goldhafer. Eine ganz große Seltenheit ist der Zweifelhafte Grannenhafer (Ventata dubia). Er gehört zu den Süßgräsern, ist einjährig und in Hessen wegen seiner Seltenheit auf der Roten Liste. In der ganzen Wetterau, die für den Erhalt eine besondere Verantwortung übernommen hat, gibt es nur noch vier Standorte. Einer davon ist das Gebiet „Auf dem Dretsch“.
Im Hochsommer erscheinen weitere selten gewordene Schmetterlinge. Besonders schön und groß ist der Schwalbenschwanz. Auch Wanderfalter aus dem Süden treffen ein, Malven-Dickkopffalter, Wander-Gelblinge, Baumwoll-Kapseleulen und Taubenschwänzchen schwirren um die Blüten herum. Aber auch weitere unter Artenschutz stehende Schmetterlinge wie der Kleine Feuerfalter, der Kurzschwänzige Bläuling und der Kleine Perlmutterfalter lassen sich beobachten.
An warmen Sommerabenden ist es hier oben besonders schön. Die ganze Landschaft ist in ein sanftes Licht getaucht, im Westen sinkt die Sonne langsam dem Horizont entgegen und der Blick des Spaziergängers kann über das Dorf, die gegenüberliegenden Wälder, den Steinbruch von Michelnau bis zu den Höhen von Taufstein und Bilstein wandern. Um diese Zeit kommen auch noch Rehe aus dem schützenden Wald, um sich eine Abendmahlzeit zu holen. Die Goldammer lässt ihren Gesang ertönen. In den Hecken hört man Dorngrasmücken, Kohlmeisen und den Gartenrotschwanz. Sie suchen nach Insekten, die sie zur Aufzucht ihrer Brut benötigen. Es herrscht eine sehr friedliche Stimmung, deren Harmonie aber leider noch an einigen Stellen gestört wird. Auch hier kommt es vor, dass einige Mitmenschen die Landschaft zur Entsorgung ihrer Abfälle nutzen. Obwohl es sich um ein Schutzgebiet von europäischer Bedeutung handelt, werden immer wieder Garten- und Küchenabfälle entsorgt. Wahrscheinlich ist den Verursachern gar nicht bewusst, welchen Schaden sie im Gebiet anrichten. Glücklicherweise hat sich die örtliche Naturschutzgruppe zusammen mit der Abteilung Landwirtschaft und der Unteren Naturschutzbehörde des Wetteraukreises sowie der Stadt Nidda seit einigen Monaten um das Gebiet bemüht. Es ist gelungen, einen neuen Pächter zu gewinnen, der seine Schafe hier auf einem Teil des Gebietes weiden lässt. Sie sind die besten Garanten für die Heilung der Wunden, die der Landschaft zugefügt wurden. Zusammen mit engagierten Naturschützern können sie für die Regeneration des Bewuchses sorgen. Es liegt eine spannende Zeit vor den Naturliebhabern. Sie können in den kommenden Jahren selbst beobachten und miterleben, wie sich dieses interessante Gebiet entwickeln wird.
Quelle: Kreis-Anteiger 26.11.2016